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Digitalpolitik zur Bundestagswahl 2025: Ambition oder vier weitere Jahre Stillstand?

Die Bundestagswahl 2025 rückt näher – und mit ihr die Frage, wie Deutschland digital handlungsfähiger werden kann. Wie viel Mut steckt in den Wahlprogrammen? Eine Analyse der digitalpolitischen Pläne der Parteien zeigt, ob Deutschland in den nächsten Jahren einen Sprung nach vorne machen kann.


14. 02. 2025

Die Wahlprogramme der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien geben einen Einblick in die digitalpolitischen Prioritäten von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, den Linken, BSW und der AfD. Welche Entwicklungen sollten unterstützt, welche kritisch begleitet werden? Wo finden sich Leerstellen, für die wir sensibilisieren sollten? Welche Rolle kann dabei die digitalpolitische Zivilgesellschaft spielen?

Für fast alle Parteien hat die Verwaltungsdigitalisierung oberste Priorität. Sie wird als Schlüssel für mehr Effizienz, Geschwindigkeit und Serviceorientierung gesehen – ein gutes Zeichen! Dieser Fokus spiegelt sich in der Forderung der Union, SPD und FDP nach einem Digitalministerium wider. Auch die Grünen wollen Zuständigkeiten und Ressourcen zu Digitalisierungsthemen bündeln. In diesen Punkten sind sich die meisten Parteien einig. Die Erfahrungen der letzten Jahre aber zeigen: Entscheidend wird sein, ob die Regierung das Thema auch im politischen Alltagsgeschäft auf der Agenda belässt oder Digitales weiterhin als „nice to have“ betrachtet.

Ein genauerer Blick lohnt sich auf die Standpunkte zu 1) Offenen Daten, 2) Kulturwandel und 3) Zivilgesellschaft. Sie stellen Gelingensbedingungen dar, wenn neben Effizienz auch demokratische Teilhabe, Partizipation und Transparenz gestärkt werden sollen. Ein Blick in die USA zeigt, was auf dem Spiel steht.

 

Transparenz und Offene Daten: ungenutzte Potenziale endlich ausschöpfen

Warum brauchen wir Offene Daten?

Offene Daten machen die Verwaltung effizienter, verhindern doppelte Erhebungen und ermöglichen schnellere, fundiertere politische Entscheidungen. Sie schaffen mehr Teilhabe, stärken die Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns und erhöhen dadurch das Vertrauen in den Staat. Auch Wirtschaft und Zivilgesellschaft profitieren – neue Geschäftsmodelle entstehen und Innovationspotenziale auch im gemeinwohlorientierten Bereich werden freigesetzt.

Wie positionieren sich die Parteien?

Die CDU/CSU will Daten zugänglicher machen, um Innovationen zu fördern und politische Entscheidungen zu verbessern. Die Grünen gehen weiter: Sie setzen auf Interoperabilität, Open Source und offene Standards für Verwaltungsdienste. Zudem wollen sie Datenkooperationen vorantreiben. Die Linke fordert ein Recht auf Open Data und ein Transparenzgesetz. SPD, FDP, Linke und AfD äußern sich nicht zum Thema.

Reicht das?

Die kommende Bundesregierung wird sich entscheiden müssen: Bleibt Transparenz eine Randnotiz oder wird sie als Hebel für eine handlungsfähigere Verwaltung erkannt? Widerstände gibt es – von der Angst vor Mehraufwand bis zur Fehleinschätzung, offene Daten seien nur ein technisches Nischenthema ohne klare Bedarfe. Doch die Vorteile überwiegen. Wer Argumente braucht: Die Open Knowledge Foundation Deutschland hat eine umfassende Wissenssammlung erstellt und berät Behörden auf dem Weg, Offene Daten sinnvoll einzusetzen.

 

Kulturwandel in der Verwaltung: kein digitaler Staat ohne Digitalkultur

Warum braucht die Verwaltung einen Kulturwandel?  

Aus der Vergangenheit haben wir gelernt, dass Gesetze und Haushaltstitel allein nicht dazu führen, dass die Verwaltung digitaler wird. Der Einkauf moderner Soft- und Hardware sowie die Einbindung von Künstlicher Intelligenz nützen wenig, wenn die zugrundeliegenden Verwaltungsprozesse weiterhin an die Deutsche Kaiserzeit angelehnt sind. Die über fünf Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst stehen im Zentrum dieses Wandels. Es braucht vernetzte Teams, Kollaboration und Serviceorientierung. Ohne Fehlerkultur, Wirkungsverständnis und Agilität können Digitalprojekte nicht erfolgreich sein. Diese Kultur kann sich nur entwickeln, wenn die Strukturen sie zulassen, und wenn Führungskräfte sie vorleben.

Wie positionieren sich die Parteien?

Die Union fordert eine neue Fehlerkultur zur kontinuierlichen Evaluation und Nachsteuerung beschlossener Maßnahmen. Konkret soll das Haushaltsrecht durch Experimentierklauseln ergänzt werden, um schnellere, pragmatischere Entscheidungen zu ermöglichen. Explizit wird auch eine wirkungsorientierte Haushaltsführung angedacht – ein vielversprechendes Novum. Auch die SPD setzt auf Wirkungsmessung. Die Grünen drängen auf eine risikofreudigere Innovationskultur und flexiblere Ermessensspielräume, um die Verwaltung agiler zu machen. Die Liberalen wollen Verwaltungsmitarbeiter*innen mehr Eigenverantwortung geben und Erfolg mit Performance-Indikatoren messbar machen. Bei den Linken, BSW und AfD spielt das Thema keine Rolle.

Reicht das?

Obwohl der Kulturwandel in der Verwaltung bereits bei den vergangenen Wahlen Thema war, machen die Pläne der Parteien Mut. Wir müssen endlich zugrundeliegende Strukturen (u.a. Geschäftsordnungen, Organisationserlasse, Verwaltungsvorschriften, Zentralabteilungen) in unseren Behörden weiterentwickeln. Das dauert, ist komplex und bringt aus Sicht der Politik keine Wählerstimmen. Doch es gibt auf allen föderalen Ebenen Vorreiter*innen als leuchtende Beispiele. Netzwerke wie Re:Form und das NExT-Netzwerk bieten ihnen eine Plattform für Vernetzung und gemeinsames Lernen. Sie zeigen: Veränderung ist möglich. Doch sie braucht Rückenwind von oben. Die nächste Regierung sollte genau hier ansetzen.

 

Rolle der Zivilgesellschaft: wertvolle Partner*innen mit Digitalexpertise

Welche Rolle kann Zivilgesellschaft spielen?

Deutschland hat eine lebendige digitalpolitische Zivilgesellschaft. Sie bietet der Politik und Verwaltung wertvolle Expertise in Form von Studien, Policy Paper (Agora Digitale Transformation, Superrr), digitalen Werkzeugkoffern und Wissenssammlungen (Open Knowledge Foundation Deutschland). Kritisch konstruktiv begleitet sie Digitalpolitik und bildet ein Gegengewicht zu kommerziellen Interessen (Wikimedia Deutschland, AlgorithmWatch, interface, Bits & Bäume, netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen). Sie organisiert Netzwerke für engagierte Verwaltungsmitarbeiter*innen (NExT-Netzwerk, Staat-up, NEGZ). Sie orchestriert staatliche Innovationsprojekte (Re:Form, Lokalprojekte) und klagt Verbraucher- und Grundrechte für Betroffene ein (Gesellschaft für Freiheitsrechte). Sie bringt diversere Perspektiven in Politik und Verwaltung (Brand New Bundestag, Join Politics). Viele digitale Lösungen, die wir täglich nutzen, stammen aus ehrenamtlichem Engagement und NGOs. Die Zivilgesellschaft vollbringt unerlässliche Dienste für Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Doch sie ist auf finanzielle Förderung (wie für das Civic Data Lab), institutionalisierte Zugänge und ernst gemeinten Austausch angewiesen, um ihre Wirkung entfalten zu können.

Wie positionieren sich die Parteien?

Die Grünen wollen die Zivilgesellschaft gezielt in die Entwicklung offener digitaler Standards und Open-Source-Lösungen einbinden. Die SPD setzt allgemein auf Förderung und Stärkung. Die Linke fordert breite Bündnisse gegen Demokratiefeinde. Auch das BSW strebt eine konstruktive Zusammenarbeit an. Union, FDP und AfD greifen die konstruktive Rolle der Zivilgesellschaft nicht auf.

Reicht das?

Die Zivilgesellschaft ist kein Dienstleister, den man nach Bedarf einkauft und steuert. Sie arbeitet unabhängig, denkt visionär, stellt infrage – genau das macht sie wertvoll. Deshalb sind einige Parteien zurückhaltend. Unbequem, aber unverzichtbar: Ein konstruktiver Umgang braucht Vertrauen und Offenheit auf beiden Seiten. Die Erfolge vergangener Kooperationen zeigen, was möglich ist. Es liegt an der nächsten Regierung, dieses Potenzial konsequent zu nutzen.

 

Ausblick: Ambition braucht mehr als Symbolpolitik

Es gibt Grund zur Hoffnung, dass die großen Parteien Digitalthemen so viel Aufmerksamkeit widmen. Die Erwartungen sind hoch, bürokratische Hürden mithilfe digitaler Technologien abzubauen. Eine Regierung, die sich nicht nur an der Zahl verabschiedeter Gesetze, sondern auch an ihrer Umsetzung messen lassen will, muss jedoch grundsätzlicher ansetzen. Transparenz, Offenheit und Kollaboration sind zentrale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Digitalisierung – doch sie entfalten keine Wirkung, wenn sie nicht durch strukturelle und kulturelle Veränderungen gestützt werden. Nur ein digitaler Staat ist im 21. Jahrhundert in der Lage, die großen Transformationsaufgaben unserer Zeit zu bewältigen. Erst wenn die Regierung das anerkennt, ist echter Fortschritt möglich.


Autor

© Stevy Hochkeppel
© Stevy Hochkeppel

Oliver Bott

Projektmanager in der Stiftung Mercator



Oliver Bott ist Projektmanager im Bereich „Digitalisierte Gesellschaft“ der Stiftung Mercator. Ziel seiner Arbeit ist es, dass staatliche Institutionen mithilfe digitaler Technologien handlungsfähiger, transparenter und partizipativer werden. Um das zu erreichen, fördert die unabhängige, gemeinnützige Stiftung Mercator Projekte in Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Über die digitalen Schwerpunkte der Parteien zur Bundestagswahl spricht Oliver auch im Tech&Trara-Podcast. Weitere Informationen zur Stiftungsarbeit findet Ihr hier.


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