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Daten als Hilfsmittel für bessere Migrationsberatung

Ein Workshop-Bericht zu Gemeinsam Machen 3 – Infos und Beratung fürs Ankommen in Deutschland: Faktenbasiert, Vernetzt, Lösungsorientiert“. Im Fokus des dritten Workshops der Veranstaltungsreihe des Civic Data Lab standen Beratung und andere Informationsangebote für und zum Teil von Menschen, die neu nach Deutschland migrieren. In einer Zeit, in der Migration oft emotional diskutiert wird, war es unser Ziel, mit beteiligten Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft herauszuarbeiten, wie wir Daten besser einsetzen können.


11. 11. 2024

Wie können wir Daten nutzen, um die Migrationsberatung in Deutschland zu verbessern? Im Fokus des dritten Workshops der Veranstaltungsreihe „Gemeinsam Machen“ des Civic Data Lab standen Beratungs- und andere Informationsangebote für und zum Teil von Menschen, die neu nach Deutschland migrieren. Auch in diesen Handlungsfeldern haben Daten Potential – zum Beispiel als Kontrapunkt zu populistischen Positionen oder zur Erleichterung von Prozessen und damit Sicherung von knappen Ressourcen. Der Weg dahin erfordert jedoch noch einige Anstrengungen, wie der Workshop zeigte.

 

Hintergrund und Ziele des Workshops

Zwei Themenschwerpunkte standen den rund 20 Teilnehmenden zur Auswahl:

  • Die erste Gruppe beschäftigte sich in ihrer rund 2-stündigen Arbeitseinheit intensiv mit Anwendungsszenarien für Daten aus Beratungen. In DRK, AWO, Diakonie, beim Paritätischen und in der Caritas gibt es deutschlandweit MBE (Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer*innen) und pro Verband eine Statistik über deren Aktivitäten. Aber auch bei anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen wie Handbook Germany und der Refugee Law Clinic gibt es Daten aus Beratungskontexten. Nach einem intensiven Blick in den Maschinenraum der Caritas wurden gemeinsame Herausforderungen offensichtlich und ausgetauscht. Eine zentrale Frage war, wie die teilnehmenden Organisationen dabei unterstützt werden können, die gemeinsam entwickelten Ideen in der weiteren Ausarbeitung und Realisierung durch das Civic Data Lab begleiten zu lassen.
  • In der zweiten Gruppe lautete der Anspruch, mögliche Anwendungsszenarien für „Lupai“ weiterzuentwickeln: Lupai ist eine Webanwendung, die von aureka und dem Bildungszentrum Lohana Berkins für Menschen entwickelt wird, die gerade nach Deutschland kommen und Fragen zum Thema Arbeit haben. Hieraus ergab sich die Fragestellung, wofür diese KI-Anwendung noch sinnvoll eingesetzt und als LLM von und für die Zivilgesellschaft mit besonderem Fokus auf Use Cases von Organisationen im Bereich Migration langfristig betrieben werden kann

 

Herausforderungen in der Daten-Praxis bei der Migrationsberatung (Gruppe 1)

Ein aufschlussreicher Einblick kam als Impuls aus der Arbeitsgruppe der Caritas, die sich mit der „Datenjourney“ in der Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) beschäftigte. In der Darstellung und der gemeinsamen Diskussion wurden zugleich mehrere zentrale Herausforderungen deutlich:

  • Die fehlende, bzw. mangelhafte Einheitlichkeit bei der Datenerhebung (und der Software) zwischen verschiedenen Wohlfahrtsverbänden
  • Ein veraltetes Controlling-System des BAMF aus dem Jahr 2010 sowie die Herausforderung neue Bedarfe sowie Befragungskriterien in die Abfrage aufnehmen zu können
  • Die Schwierigkeit, persönliche Entwicklungen der Klient*innen vonseiten der Beratenden systematisch zu erfassen und in diesem Kontext auch eine längerfristige Beobachtung der Klient*innen aus Datensicht abzubilden (jede Beratung ist ein neuer Datensatz)
  • Datenschutzrechtliche Hürden bei der Datenverarbeitung
  • Die mangelnde Nutzung vorhandener Daten für die Aufbereitung im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, auch und gerade im Kontext der politischen Kommunikation

Ein besonders wichtiger Aspekt, der während des Workshops deutlich wurde: Hinter jedem Datenpunkt steht eine persönliche und jeweils sehr individuelle Geschichte. Die Teilnehmenden diskutierten intensiv darüber, wie man die Wirkung und den Erfolg der Beratungsarbeit besser messen und darstellen kann (Wirkungsmessung). Dabei ging es u.a. um Fragen wie: Was bedeutet Sprachförderbedarf konkret? Wie kann man den Fortschritt bei der Integration messbar machen?

Wirkungsorientierte Datennutzung als Lösungsansatz

Der Workshop bot nicht nur Raum für Problemanalysen, sondern auch für die Entwicklung von Ideen für konkrete Lösungsansätze. Dabei kristallisierten sich zwei interessante Perspektiven und Herangehensweisen der teilnehmenden Organisationen heraus: Der „Bottom-up“-Ansatz: Hier ging es darum, von den Bedürfnissen und Erfahrungen der Klient*innen und Communities auszugehen und darauf aufbauend den Datenbedarf zu definieren. Dieser Ansatz verspricht, die tatsächlichen Bedarfe besser abzubilden, erfordert jedoch zunächst den Aufbau neuer Datengrundlagen. Der „Top-down“-Ansatz: Bei diesem Ansatz stand die Analyse der bereits vorhandenen Datensätze im Vordergrund, um daraus Rückschlüsse auf mögliche Bedarfe der Klient*innen zu ziehen. Dieser Weg ermöglicht schnellere Erkenntnisse, stößt jedoch an Grenzen, wenn die bestehenden Daten die tatsächlichen Bedürfnisse nicht vollständig abbilden. Ein wichtiger Aspekt, der in den Diskussionen deutlich wurde, ist der hohe Arbeitsaufwand für die Berater*innen, der ein zentrales Nadelöhr darstellt. Lösungen, die den Aufwand für Datenerhebung und -auswertung reduzieren, könnten daher entscheidend sein, um Verbesserungen in der Praxis zu ermöglichen.

Ausblick: Einheitliche Standards und flexible Aggregation
  • Das Schlüsselelement für den effektiven Einsatz von Daten in der Migrationsberatung könnte eine Mischung aus stabilem einheitlichen Datengrundstock (Standards in der Erfassung) und flexibler Aggregation zwischen den verschiedenen Trägern und Organisationen sein.
  • Eine einheitliche Datenerfassung und -struktur über alle Beratungsstellen hinweg könnte die Vergleichbarkeit der Datensätze sowie eine einheitliche und transparente Nachvollziehbarkeit gewährleisten.
  • Ein flexibler Aggregationsstandard wäre wünschenswert, um eine dynamische Anpassung an sich verändernde Bedarfe und Fragestellungen möglich zu machen.

Eine ganzheitliche Auswertung über Träger- und Themengrenzen fördert das Verständnis der Bedarfe und Herausforderungen, macht Trends sichtbar und ermöglicht eine evidenzbasierte Entscheidungsfindung und Weiterentwicklung von Angeboten. Diese trägerübergreifenden  Lösungsansätze in den Daten, gepaart mit einer stärkeren Kooperation und Vernetzung, könnten wichtige Schlüssel sein, um Daten für eine wirkungsvollere Migrationsberatung nutzbar zu machen. In einem nächsten Schritt wird das Team des Civic Data Labs Ansätze eruieren, inwiefern dieses Ziel im Rahmen eines Datenvorhabens gefördert und umgesetzt werden könnte.

 

Anwendungsszenarien für die Webanwendung Lupai (Gruppe 2) 

Die Anwendung Lupai, die kurz vor ihrem Launch steht, hilft zukünftig dabei, sich einen Weg durch den deutschen Bürokratie-Dschungel zu bahnen und die eigenen Rechte zu kennen und wahrzunehmen. Basierend auf einem geprüften, zuverlässigen Datenkorpus aus Gesetzestexten, Verwaltungsdaten, Erfahrungsberichten, Daten aus und über Beratungsdiensten und Organisationen, Initiativen und Fachleute, beantwortet Lupai Fragen sensibel und verständlich mithilfe von KI – und hilft auch, den Kontakt zu den passenden Fachstellen herzustellen. Die von Lupai bereitgestellten Informationen sollen den persönlichen Kontakt mit Beratenden dabei nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Lupai ist darüber hinaus als „Baukastensystem“ mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Agents angelegt, die verschiedene Aufgaben übernehmen, wie die Assistenz zur genauen Definition von Anfragen oder das Formulieren bei sensiblen Themen. Diese Agents können unaufwendig auch auf andere Datenquellen zugreifen und so weitere Nutzungsanlässe abbilden. Über solche Weiterentwicklungen und Anknüpfungspunkte tauschten sich die Teilnehmenden aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus.

Anknüpfungspunkte für die sinnvolle Nutzung von LLMs in der Migrationsberatung und darüber hinaus

Mit Lupai wurde ein besonders elaboriertes Sprachmodell basierend auf Chat-GPT und erweitert um eine Reihe von Komponenten geschaffen, das sich Herausforderungen wie genaues Verstehen der Anforderungen, Formulierungen mit Feingefühl und der Bereitstellung in mehreren Sprachen stellt. Ein ähnliches Format ist noch für eine Reihe weiterer Anwendungsfälle hilfreich. Gesammelt haben die Teilnehmenden aufgrund Ihrer eigenen organisationalen Erfahrungen z.B.:

  • Bei der Beratung von Berater*innen und Community Admins in (migrantischen) Communities zu sozialen, rechtlichen und vielen weiteren Fragen
  • Im Besonderen auch Beratung zur Anerkennung von Berufsqualifikationen, wo die Nachfrage sehr groß und daher die Notwenigkeit zur Vorab-Information gegeben ist
  • Oder Beratung von Teilnehmenden an ERASMUS-Austauschen
  • Live-Übersetzung zwischen Menschen mit unterschiedlichen Sprachen und kognitiven Möglichkeiten in der Online-Kommunikation
  • Moderation von komplexen Fragen im Quartiersmanagement
  • „Digitales Vorzimmer“, um das richtige Beratungsangebot zum eigenen Problem im SGB-Dschungel zu finden

 

Ausblick: Langfristige Betriebsmodelle für technische Kooperationen

Als zivilgesellschaftliche Organisationen finden wir viele relevante Anwendungsfälle für generative KI und teilen übergreifend das Ziel, unsere Informationen und Angebote möglichst transparent und barrierearm zur Verfügung zu stellen. Zu oft wird dabei jedoch aktuell für jeden Nagel ein neuer Hammer gebaut – mit Fördermitteln, die irgendwann enden. Wie können wir hier mehr Souveränität gewinnen und gemeinsam Lösungen betreiben, die bereits in der Zivilgesellschaft entwickelt wurden?

Es gibt gerade mehrere Initiativen, die zu diesem Problem tätig werden. Eine davon kommt von aureka, die ihr Modell gern zur Verfügung stellen und für weitere Nutzungszwecke wie Lupai ausbauen. Eine Möglichkeit ist dafür immer, über Open Source Code und Open Data gemeinsam an Lösungen zu bauen. Für Organisationen und Initiativen, deren Kernkompetenz aber im Sozialen statt im Technischen liegt oder die selbst keine technischen Systeme betreiben, ist vielleicht eine Alternative interessant, die aureka vorschlägt: Eine communitybasierte Struktur. Hierfür könnten mehrere Organisationen sich zusammentun und mit einem kleinen Beitrag dafür sorgen, dass das System betrieben und weiter entwickelt werden kann. Basierend auch der Grundstruktur nutzen sie es für ihre unterschiedlichen Zwecke und mit ihren jeweils unterschiedlich kuratierten Daten. Über gemeinsame Strukturen kann über die Weiterentwicklung der Software entschieden werden.

Ein Grundstein konnte in „Gemeinsam Machen“ gelegt werden, erste Kontakte sind entstanden. Weitere Interessierte sind eingeladen, sich bei Cecilia Maas zu melden.

 

Einfach mal – gemeinsam – machen

Diese Ausgabe von „Gemeinsam Machen“ widmete sich extrem komplexen Herausforderungen. Gewachsenes Datenmanagement mit allen seinen Schwierigkeiten und die Entwicklung von nachhaltigen Organisationsformen bzw. Geschäftsmodellen sind oft Herausforderungen, an denen gute Ideen scheitern oder zumindest zu Monster-Projekten werden. Dennoch teilen wir, was viele der Teilnehmenden zurückmeldeten: Gerade im Angesicht größerer Herausforderungen ist es gut, ins Tun zu kommen. Eben: Einfach mal – gemeinsam – machen!

Dabei zeigte sich auch, dass wir in Zeiten, in denen die Ressourcen für gute inklusive Arbeit langfristig eher weniger werden, neue Allianzen brauchen werden. Der Austausch, der durch das Zusammenkommen von größeren Wohlfahrtsverbänden mit kleineren Initiativen und Vereinen im Workshop zu Stande kam, war für alle Seiten gewinnbringend. Wo kleinere Akteur*innen beweglicher sind, oft direkte Kontakte zu Klient*innen haben und Innovationen einbringen können, gibt es bei den Größeren oft mehr Erfahrungen mit langfristigen politischen Prozessen und dem Betrieb größerer Strukturen.

Eine Schlüsselerkenntnis beider Gruppen blieb jedoch: vieles scheitertet am Format der Daten. Gleiche Gegenstände werden in allen Organisationen anders erfasst oder aggregiert, selbst wenn sie im Fall von MBE im gleichen Förderprogramm tätig sind. Dadurch “kämpft” jedes Projekt für sich und Zusammenschlüsse werden erschwert. Eine mögliche Antwort darauf sind Standards, die aufgrund der Multi-Stakeholder-Umgebungen aus Klient*innen, Organisationen, weiterer Unterstützungssysteme und Förderer mit ganz unterschiedlichen Interessen größere Prozesse mit sich bringen. Es wird sich zeigen, ob das Dateninstitut, für dessen Aufbau sich aktuell Konsortien bewerben, Lösungen für diese Problematik schaffen kann.

Als ersten, kleineren Schritt, erleben wir das Kennenlernen im erweiterten Feld, ein wachsendes Problembewusstsein und die Entwicklung von gemeinsamen Ideen und Visionen als einen vielversprechenden Schritt in die richtige Richtung.


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