Orientierung für Ratsuchende schaffen: Wie können wir aktuelle Daten zu sozialen Angebote bereitstellen
12. 12. 2025
Soziale und zivilgesellschaftlicher Organisationen decken zwar unterschiedliche Fachbereiche ab, doch im Leben von Klient*innen liegen diese oft nah beieinander und brauchen schnell Abhilfe. Bei zeitkritischen Themen – wie Schwangerschaftsberatung oder der Suche nach Notschlafplätzen – zählt für die Klient*innen oft jede Stunde. Mittlerweile gibt es immer bessere technische Lösungen, um diese Herausforderungen anzugehen – doch die brauchen Daten, ganz besonders wenn es um die Vermittlung von Von-Ort-Angeboten und Kontaktpersonen geht. Im Workshop diskutierten die Teilnehmer*innen, wie sich notwendige Informationen besser zugänglich machen und aktuell halten lassen und welche Vor- und Nachteile verschiedene Lösungsansätze bieten.
Ausgangspunkt: Aktuelle Daten zu sozialen Hilfsangeboten sind gefragt
Viele Organisationen pflegen heute bereits umfangreiche Daten und Informationen zu sozialen Unterstützungsangeboten, jedoch oft parallel und mit sehr unterschiedlichen technischen und organisatorischen Ansätzen.
Wie herausfordernd diese Ausgangslage ist, zeigt Fabian Pareigis, Leiter des Projekts „Digitaler Erstkontakt“ beim Bundesverband pro familia. Zu Beginn des Projektes stellte sich schnell heraus, dass die vorliegenden Daten für den geplanten Chatbot, der Ratsuchende schneller zum passenden Angebot lotsen sollte, unsystematisch, unvollständig und nur mithilfe von Workarounds nutzbar waren. Verarbeitet werden sollte die Dokumentation vergangener Beratungsanfragen sowie eine Ergänzung der Datenbank zu den Öffnungszeiten.
Die folgenden vier Learnings gab Fabian Pareigis den Teilnehmer*innen an die Hand:
- Ein größeres Verständnis für den Wert von Daten anhand der gesamten Erhebungs- und Erstellungskette war erforderlich, um ihre Qualität zu verbessern. Die Kommunikation insbesondere im Umgang mit Vorbehalten kostet viel Zeit.
- Die Konsolidierung von Datenstrukturen und -prozessen ist ein wichtiger Schritt, dauert aber ebenfalls oft lange und wird in der Projektplanung meist unterschätzt.
- Der ursprünglich anvisierte Chatbot ist zwar nicht mehr online, doch die Organisation verfügt jetzt über eine deutlich bessere Datenbasis für künftige Projekte. Darin liegt ein Wert an sich.
- Das Projektergebnis kann auch als Open Data außerhalb der Organisation genutzt werden.
Das Beispiel zeigt, wie schnell Brüche in der Datenqualität zum Problem werden. Die Teilnehmer*innen von „Gemeinsam Machen” diskutierten deshalb, wie die Zivilgesellschaft die Verfügbarkeit und Aktualität von Daten über soziale Unterstützungsangebote in Deutschland verbessern kann. Die folgenden Absätze stellen die dazu in den Fokus genommenen Ansätze und Ideen vor.
Track 1: Zentraler Ansatz „Kuratierung von Daten durch Dritte“: public money, public data
Der Ansatz ist naheliegend: Eine Stelle sammelt die notwendigen Daten und stellt sie gebündelt zur Verfügung. Als Ausgangspunkt stand das Beispiel der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e. V. (DAJEB), die Angebote der Jugend- und Familienberatung für ihren Beratungsführer sammelt, kuratiert und zentral veröffentlicht. Die DAJEB überarbeitet im kommenden Jahr ihren Beratungsführer und stellt sich dabei der Frage: Wie kann eine zentrale Stelle Beratungsdaten so bündeln, dass sie organisationsübergreifend nutzbar werden?
Anhand der Datenstruktur des Beratungsführers wurde diskutiert, welche Informationen Ratsuchende wirklich benötigen und wie ein gemeinsamer Standard aussehen könnte. Deutlich wurde: Während sich Kategorien wie Beratungsschwerpunkte schwer vereinheitlichen lassen, sind verständliche Beschreibungen konkreter Angebote oft hilfreicher. Rückmeldungen von Nutzer*innen sind wichtig, um Suchlogiken und Prioritäten zu optimieren. Spannend bliebt auch die Logik der Struktur: Wie werden Träger/ Organisation, Beratungsstelle und Beratungsangebot so zueinander angeordnet, dass möglichst viele Realitäten damit abgebildet werden können?
Ebenso zentral sind Fragen der Organisation: Wer trägt die Verantwortung für das Sammeln, Pflegen und die Aktualisierung der Daten? Wie lassen sich Pflegeprozesse trotz knapper Zeitressourcen realistisch gestalten? Eine zentrale Stelle kann Qualität sichern und Wiederverwendbarkeit ermöglichen, trägt aber erheblichen Pflegeaufwand. Ohne klare Ziele -d.h. ohne zu definieren, wofür die Daten bereitgestellt werden und für welche Zielgruppen – bleiben Entscheidungen zu Struktur, Rollen und Technik zu unkonkret.
Für zivilgesellschaftliche Organisationen mit begrenzten Mitteln kann eine gemeinsame, kuratierte Datensammlung dabei helfen, Doppelstrukturen zu vermeiden und Ressourcen zu bündeln. Wenn öffentliche Mittel in solche Infrastrukturen fließen, sollten frei zugängliche Datensätze entstehen. Auch hier gilt: „public money, public data”.
Track 2: Self-Service Ansatz „Daten sammeln durch Anbietende der Leistung”: Daten sammeln, wo sie entstehen
Im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) bündelt die Sozialplattform Informationen zu Sozialleistungen und ermöglicht die digitale Antragstellung. Ergänzt wird der Service durch einen Beratungsstellenfinder, bei dem Beratungsstellen ihre Daten selbst pflegen. Sie entscheiden, welche Angaben sichtbar sind, und können ihre Auslastung steuern, indem sie Einträge aktivieren oder pausieren. Der Ansatz verknüpft Verwaltungsleistungen mit passender Beratung, weil es auch bei digitalisierten Anträgen oft zu Rückfragen und Unklarheiten kommt.
Für Beratungsstellen hat das Self-Service-Modell diverse Vorteile: Sie wissen wo sie eingetragen sind und behalten damit die Kontrolle über ihre Daten, können Änderungen ohne lange Abstimmungswege vornehmen. Das kann sich auch positiv auf die Datenqualität auswirken. Diese Effekte schwinden jedoch, sobald es durch mehrere parallel datensammelnde Plattformen unübersichtlich für Beratungsstellen wird. Die Pflege der zum Teil umfangreichen Informationen an unterschiedlichen Stellen kostet viel Zeit. Für Plattformbereitstellende besteht die Schwierigkeit vor allem im erstmaligen Auffinden der diversen Beratungsstellen und richtigen Ansprechpersonen sowie in der Unkontrollierbarkeit der Aktualität von Angaben.
Die Teilnehmer*innen schlugen daher verschiedene Lösungsansätze vor: E-Mail-Erinnerungen mit direktem Bearbeitungslink und eine Reduktion auf wenige zentrale Pflichtangaben vereinfachen das Verfahren. Besser wären noch Automatisierungen wie Schnittstellen zu bestehenden Webseiten (entweder Datensammlungen oder auch die Webseiten der Beratungsstellen selbst), einheitliche Datenstandards für automatisiertes Einlesen der Daten oder aber den Einsatz von KI-gestützten Verfahren, um nicht standardisierte Angaben zu übernehmen.
Vor dem Hintergrund veränderter Suchgewohnheiten über Google, ChatGPT und andere KI-Dienste betonten die Teilnehmenden aber auch: Eine einfache Adresssammlung ist gar nicht mehr Ziel der Bemühungen. Entscheidend ist, dass Leistungen und Beratungsangebote strukturiert bereitgestellt werden, sodass sie in Suchmaschinen und KI-Anwendungen auffindbar sind. Angebote wie die Sozialplattform sollten Ratsuchende bei komplexen Anliegen gezielt weiterleiten, wenn automatisierte Informationsangebote an ihre Grenzen stoßen – denn als gemeinwohlorientierte Anbietende haben wir das Ziel, Service aus einer Hand im vertrauensvollen Rahmen anzubieten. Um diesen Service auch relevanter für Datengebende zu machen, stellten die Teilnehmenden die Frage, wie der zusätzliche Nutzen aussehen könnte – eine mögliche Idee ist gute SEO als Pro-Argument.
Track 3: Community Pool Ansatz „Zivilgesellschaft pflegt Daten föderiert”: verteilt und doch gemeinsam
Mit FörderFunke kam ein Ansatz ins Spiel, der auf einen föderierten Community Pool setzt und nicht auf eine zentrale Einheitslösung: Bestehende Verzeichnisse der Zivilgesellschaft werden technisch miteinander verknüpft und abgeglichen. Der Ansatz wird bisher nicht realisiert, im Workshop wurde die Vision davon genauer ausgearbeitet. Eine Allianz von Trägern stellt die jeweils eigenen Datenbestände über standardisierte Schnittstellen bereit und schafft so einen gemeinsamen Datenbestand zu Beratungsangeboten. Die Verantwortung für Pflegeaufwand und Qualitätsstandards wird geteilt.
Der föderierte Pool zieht offene, maschinenlesbare Daten über Schnittstellen zusammen. Zu jedem Angebot sind Leistung, Träger und die verantwortliche Person sichtbar. Metadaten zur Herkunft und eine Änderungshistorie könnten die Vorgänge nachvollziehbar machen. Eine Allianz-Software mit gemeinsamen Standards, klaren Schnittstellen und eindeutigen IDs würde die dezentralen, föderierten Datenbestände verbinden. Schnittstellen zu bestehenden Systemen und Erinnerungsfunktionen sollen eine eventuelle doppelte Pflege begrenzen.
Der Community Pool Ansatz ist besonders anspruchsvoll mit Blick auf Governance und Organisation, deswegen wurde dazu besonders viel diskutiert und gebrainstormt. Gute Datenqualität und das Sparen von Ressourcen durch einen Zusammenschluss erscheinen vielversprechend. Auch hier gilt: Ob Einrichtungen und Träger mitmachen, hängt immer vom erkennbaren Nutzen ab: bessere Auffindbarkeit, gemeinsame Datennutzung und einfache Kooperation sind gute Argumente. Gleichzeitig bleiben Hürden wie knappe Ressourcen, Fragen zur Transparenz und Risiken offener Daten. Für die Entwicklung, den Betrieb und die Finanzierung kommen Trägerallianzen, Verbände oder andere vertrauenswürdige Akteur*innen in Betracht. Der Ansatz sollte durch öffentliche, finanzielle Unterstützung, Pilotphasen oder gemeinsame Förderanträge unterstützt werden. Föderierte und dezentrale Standards sollen die Daten zwischen verschiedenen Systemen kompatibel halten.
Der Community Pool Ansatz skizziert damit eine Alternative zu weiteren Insellösungen. Die Daten bleiben bei den Trägern oder in bestehenden Sammlungen wie von DAJEB und Sozialplattform, werden aber über Schnittstellen zusammengeführt und in ihrer Gesamtheit bereitgestellt. So entsteht ein gemeinsamer Informations- und Datenraum, von dem alle Beteiligten profitieren, sofern sie ihre bestehenden Datensammlungen teilen.
Fazit: Was braucht es für eine gemeinsame Datenbasis?
- Fest steht: Eine verlässliche, aktuelle Datenlandschaft zu sozialen Hilfsangeboten kann nur gemeinsam aufgebaut werden. Dafür ist vor allem Vernetzung relevant: Akteur*innen, die Daten zu eigenen und fremden Angeboten erfassen, müssen kooperieren, um Doppelstrukturen zu vermeiden und Wissen zu teilen.
- Außerdem braucht es konkrete Use Cases, die den Mehrwert gemeinsamer Daten sichtbar machen – zum Beispiel für Ratsuchende, Sozialraumanalysen oder die Weitervermittlung zwischen Einrichtungen.
- Damit Daten übergreifend nutzbar werden, ist eine Einigung auf gemeinsame Standards zentral. Vergleichbare Datenfelder, abgestimmte Definitionen und klare Schnittstellen bilden die Grundlage, dass Informationen aus unterschiedlichen Quellen zuverlässig zusammengeführt werden können.
- Nicht zu vergessen: die Verbreitung einer Lösung, die das Mitwirken mehrer Organisationen erfordert. Nur wenn die beteiligten Einrichtungen wissen, wie und wo Daten eingepflegt oder abgerufen werden können, entsteht ein lebendiges und gepflegtes System.
- Langfristig ist außerdem ein politischer Auftrag erforderlich, der Verantwortlichkeiten sichert, Ressourcenbereitstellung ermöglicht und die Entwicklung einer gemeinsamen Dateninfrastruktur vorantreibt. Ohne institutionellen Rückhalt bleibt es häufig bei Insellösungen und entscheidende Innovationspotenziale gehen verloren.
- Das Civic Data Lab wird diesen Prozess im kommenden Jahr weiter aktiv begleiten. Ziel ist es, die Zusammenarbeit zu stärken und tragfähige Lösungen zu entwickeln. So werden aus vielen individuellen Ansätzen kollektive Prozesse entstehen, die die Datenlage nachhaltig verbessern.

Vielen Dank an Stephanie Kowalski für die Erstellung des Graphical Recordings und die Unterstützung der Dokumentation des Workshops!
Autorinnen
Angela Berger (sie|ihr)
Datenvorhaben // Kommunikation angela.berger@caritas.de Kontakt in HumHub
Stephanie Agethen (sie|ihr)
Kommunikation // Bildungsressourcen stephanie.agethen@caritas.de Kontakt in HumHub