Disclaimer: Nicht immer läuft alles nach Plan und manche Entscheidungen erweisen sich (im Nachhinein) als Fehler oder als Irrweg. Offen, ehrlich und konstruktiv mit diesen Erfahrungen umzugehen und sie mit der Öffentlichkeit zu teilen, ist nicht einfach und nicht ohne Risiko. Wir machen es hier trotzdem, damit wir als Zivilgesellschaft davon lernen können. Wir danken Mpho von all.txt für deren Zustimmung dazu, dass wir hier über die Fehler und Hürden im Datenvorhaben sprechen können.
Was haben wir gemacht? Was haben wir gewonnen?
In den vergangenen Blogposts zum Start und zum Zwischenstand haben wir über das Vorhaben mit all.txt berichtet – von der Idee bis hin zur Umsetzung. Kurz zusammengefasst: Das Ziel war es, die Verwendung genderinklusiver Sprache zu fördern, indem wir all.txt bei der Bereitstellung offener Daten und eines Datenproduktes unterstützen. Das Civic Data Lab hat dabei gemeinsam mit all.txt, unterstützt durch &effect wertvolle Erkenntnisse sammeln können, wie Datenprodukte in der Zivilgesellschaft nachhaltig entstehen können.
Und es wurden ganz konkrete Outputs geschaffen:
Diese Outputs sind nicht nur ein greifbares Ergebnis der gemeinsamen Arbeit, sondern auch öffentliche Ressourcen, die von der Community weitergenutzt werden können.
Darüber hinaus haben wir im Prozess viel gelernt, was uns und anderen aus der Zivilgesellschaft beim Umsetzen von Datenprojekten potentiell hilfreich sein kann. Das möchten wir in diesem Blogbeitrag teilen.
Herausforderungen: Wo sind wir an Grenzen gestoßen?
Doch natürlich gab es auch Herausforderungen. Unsere Ansätze und Ziele mussten sich während des Projekts immer wieder anpassen – sei es durch technische Entwicklungen, die Komplexität des Problems oder begrenzte Ressourcen.
Einige der größten Hürden für das Umsetzungsteam von all.txt und Civic Data Lab waren:
- Technische Herausforderungen: Es gab keine bestehende Lösungen, also keinen Algorithmus, der deutsche Sätze genderinklusiv verändern kann. Neo-Pronomen und Gender-Sternchen sind Konzepte, die in den bestehenden Modellen bisher nicht abgebildet sind. Alternative Methoden waren nicht ausreichend erprobt.
- Strukturelle Hürden: Viele zivilgesellschaftliche Projekte befinden sich in einem Zustand der ständigen Unsicherheit, gerade mit Blick auf eine stabile finanzielle Förderung. In diesem Vorhaben wurden darüber hinaus weitere strukturelle Hindernisse sichtbar. Das all.txt Team musste für ihr Vorhaben, das aus und für die queere Community entstand, viel zusätzliche Zeit und Mühe in Überzeugungsarbeit von Förderern und Partner*innen investieren. Zusätzlich erschwert wurde die Entwicklung und Umsetzung durch klassistische Benachteiligung, die (finanziell) nicht-privilegierte Personen und deren Start-Ups im IT-Umfeld erfahren. Mit weniger Ressourcen neben Start-Ups oder Konzernen mit mehr Geld und Arbeitszeit sichtbar zu werden und sich durchsetzen können, ist strukturell erschwert. Fehlende finanzielle Ressourcen können nur bedingt und unter Hinnahme von hoher Belastung durch ehrenamtliche, nicht bezahlte Arbeit ausgeglichen werden. Diese Benachteiligungen verstärken sich dabei oft gegenseitig, das Stichwort hier ist “Intersektionalität”. Eine Person aus dem all.txt-Team formulierte es treffend: „Wenn du versuchst, in einer von Klassismus und Heteronormativität geprägten Umgebung ein Start-Up mit queerer Mission aufzubauen, fühlt es sich an, als hättest du einen kleinen Eimer Wasser für ganz, ganz viele Feuer – und hast dazu nur einen kleinen Löffel, um diese zu löschen.”
- Arbeitsbelastung: Das all.txt Team war also sowieso stark ausgelastet. Hinzu kam, dass auch CDL-Teammitglieder an vielen Baustellen außerhalb des all.txt Projekts arbeiteten, was es schwer machte, Fortschritte zu erreichen und diese dann auch zu erkennen.
- Ressourcenknappheit: Ein im Verlauf kleiner werdendes Team bei all.txt und fehlende inhaltliche Kompetenz im Civic Data Lab im Bereich NLP machten es uns schwerer, das volle Potenzial unseres Vorhabens auszuschöpfen.
Erkenntnisse: Was haben wir gelernt?
Trotz (oder gerade wegen) dieser Herausforderungen haben wir im Civic Data Lab viel gelernt – nicht nur über die technischen Aspekte des Vorhabens, sondern auch über nachhaltige, kollaborative Projektarbeit.
Konkret nehmen wir folgende Learnings mit:
Offene, empathische und wertschätzende Kommunikation war die Grundlage dafür, dass wir trotz der ganzen Herausforderungen Ziele erreichen und Outputs schaffen konnten. Dadurch, dass wir immer im Gespräch blieben und ehrlich über Kapazitäten und Grenzen, aber auch Bedenken und Erfahrungen miteinander sprachen, war es möglich, sich ehrlich zu Aufgaben und Zielen zu committen und Rollen und Verantwortlichkeiten realistisch und klar zu definieren.
Ein solches offenes Arbeitsumfeld, in dem sich alle Teammitglieder wohl und gesehen fühlen, wollen wir auch in anderen Vorhaben schaffen. Strukturelle Hürden und Benachteiligungen, die wir oder unsere Teampartner*innen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen mitbringen, aktiv wahrzunehmen und als Faktoren zu berücksichtigen, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass alle Beteiligten bestmöglich am Vorhaben mitarbeiten können.
Mut zur Neuausrichtung von Vorhaben (“Pivotieren”) ist wichtig, gerade bei noch wenig begangenen Pfaden. So haben wir auch bei all.txt das Datenvorhaben an verschiedenen Zeitpunkten neu ausgerichtet und umgedacht. Denn Möglichkeiten, Ressourcen und Ziele können sich ändern und das ist völlig okay – diese Realität anzuerkennen und regelmäßig die Situation zu evaluieren, hat uns ein rechtzeitiges und bewusstes Einlenken ermöglicht. Das mag selbstverständlich sein für privilegierte Personengruppen, für die “ein sich Ausprobieren dürfen” normal und nicht existenziell ist. Gerade bei benachteiligten Personengruppen hat jedoch der Erwartungsdruck und auch die Fallhöhe eine andere Dimension.
Realistische Planung & Vergabe: Schon bei der Konzeption des Vorhabens im CDL müssen die benötigten technischen und inhaltlichen Kompetenzen identifiziert werden, damit sichergestellt ist, dass diese im Projekt vorhanden sind. So lassen sich Frustration und Überforderung reduzieren.
Strukturiertere Arbeitsprozesse, z. B. mit ordentlichem Projektmanagement, zentralen Dokumentenspeichern und Meeting-Notizen, helfen allen Beteiligten, den Überblick zu behalten und stellen die Arbeitsgrundlage für ein reibungsloses Arbeiten dar.
Klare Priorisierung: Statt zu versuchen, alles gleichzeitig zu lösen, können kleinere, klar definierte Arbeitspakete Erfolge erreichbarer und sichtbarer machen. Gerade kritische Punkte und Annahmen, die den Projekterfolg bedingen, wollen wir frühzeitig identifizieren und im Projektverlauf priorisieren.
Ein Fazit mit Blick nach vorn
Dieses Datenvorhaben gemeinsam mit all.txt und &effect war für uns eine wertvolle Erfahrung – mit Erfolgen, aber auch mit internen und externen Herausforderungen. Wir haben gelernt, dass es oft keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme gibt, aber dass Offenheit, ehrliche Kommunikation und klare Strukturen einen weit bringen, auch wenn es nicht immer zu dem Ziel führt, das man zu Beginn anvisiert hat.
Wir freuen uns darauf, diese Erfahrungen in kommende Projekte einfließen zu lassen und weiter an kleinen und großen Lösungen für eine gerechtere Zukunft zu arbeiten – und dabei immer weiter zu lernen.
Ein riesiges Dankeschön an alle, die mitgearbeitet, hinterfragt und unterstützt haben. Dieses Vorhaben war nur dank eurem Einsatz möglich.