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Früher war alles besser – WIRKLICH?

Das Civic Data Lab versteht Daten und ihre zielgerichtete Nutzung als eine unverzichtbare Grundlage für fundierte Entscheidungen und nachhaltige soziale Innovationen in der Zivilgesellschaft. Das Ende des ersten Viertel dieses Jahrhunderts nehmen wir daher zum Anlass für einen Realitätscheck: Was sagen Daten eigentlich über die weltweiten Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre? Wie hat sich die globale Entwicklung in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit verändert?


10. 01. 2025

Eine ganze Generation ist seit dem Jahrtausendwechsel vergangen. Während sich einige noch lebhaft an die befürchtete Computer-Apokalypse im Jahr 2000 erinnern (die glücklicherweise ausblieb), haben sich in den folgenden 25 Jahren bemerkenswerte Entwicklungen vollzogen.  Die Daten zeigen: Die Welt hat sich in vielen Bereichen zum Besseren gewandelt – trotz des Mythos, ‚früher war alles besser‘.[1]

Warum neigen Menschen dazu, die Vergangenheit besser zu bewerten?

Das Phänomen der verklärten Vergangenheit, von Psychologen als „Rosy Retrospection“ bezeichnet, ist tief in der menschlichen Psyche verankert. Unser Gehirn speichert positive Erinnerungen intensiver als negative, während unangenehme Erfahrungen oft verblassen. In Zeiten der Unsicherheit suchen wir zudem instinktiv Halt in einer idealisierten Vergangenheit. Mit zunehmendem Alter empfinden wir Veränderungen häufig als belastender, während die Komplexität der Gegenwart und die Ungewissheit der Zukunft die Sehnsucht nach vermeintlich einfacheren Zeiten verstärken.

Aber war wirklich alles besser?

Ein genauerer Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeigt, dass viele gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Indikatoren in eine positive Richtung weisen. Gerade Fortschritt lässt sich anhand von Daten eindrucksvoll belegen und Mythen widerlegt werden. Besonders eindrücklich zeigte dies bereits 2010 Hans Rosling in dem Datenvisualisierungsvideo „200 Countries, 200 Years, 4 Minutes“, wie sich der Gesundheitszustand und der Wohlstand der Weltbevölkerung in den vergangenen 200 Jahren zum Positiven entwickelt haben. Die Schlussfolgerung nach knapp fünf Minuten Video ist beeindruckend: Die Welt war 2010 gesünder und wohlhabender als je zuvor.

Früher war alles besser? 25 Jahre im Faktencheck

1999/2000: Die Welt stand an der Schwelle eines neuen Jahrtausends, voller Erwartungen und Hoffnungen auf eine glanzvolle Zukunft. An den Börsen blähte sich die Dotcom-Blase immer weiter auf, getrieben von einem nahezu grenzenlosen Vertrauen in die Möglichkeiten des Internets – ein Optimismus, der im Laufe des Jahres 2000 dann mit dem spektakulären Platzen der Blase enden sollte.[2]

In den Forschungslaboren gelang ein historischer Durchbruch: Die erstmalige Entschlüsselung des menschlichen Erbguts[3] öffnete das Tor zu revolutionären medizinischen Entwicklungen. Biotechnologie und Digitalisierung versprachen in ihrer Kombination den Schlüssel zu Wohlstand, Gesundheit und einer nachhaltigen Zukunft.

Auch ökologische Themen rückten ins Zentrum der globalen Aufmerksamkeit: Das Kyoto-Protokoll[4] verpflichtete erstmals die führenden Industrienationen zu konkreten Reduktionen ihrer Treibhausgasemissionen. Die Vereinten Nationen etablierten mit dem Human Development Index (HDI)[5] einen neuen Maßstab für Entwicklung, der neben dem Wirtschaftswachstum auch Bildung und Lebensstandard berücksichtigte.

Mit den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs)[6] setzten sich 189 Staaten ehrgeizige Ziele bis 2015: die Halbierung der Armut, die Bekämpfung des Hungers, Bildung für alle, die Senkung der Kindersterblichkeit, die Eindämmung von Krankheiten wie HIV/AIDS und die Sicherung ökologischer Nachhaltigkeit.

Was wurde aus dem Millennium-Hype und welche Fortschritte zeigen uns Daten?

Was wurde aus den ambitionierten Zielen der Jahrtausendwende? Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: In nur einem Vierteljahrhundert hat sich die Welt in vielen Bereichen zum Positiven verändert.

Ein Blick auf die globale Gesundheit offenbart beeindruckende Fortschritte: Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg von 66 auf 73,3 Jahre[7] – ein Gewinn von über sieben Lebensjahren. Noch deutlicher zeigen sich die Erfolge beim Schutz der Schwächsten: Die Kindersterblichkeit halbierte sich[8], die Müttersterblichkeit sank um 45 Prozent[9]. Auch im Kampf gegen HIV gibt es Hoffnung: Die Zahl der Neuinfektionen ging um 60 Prozent gegenüber 1990 zurück.[10]

Der Zugang zu Bildung hat sich allgemein verbessert, wenn es auch deutliche regionale Unterschiede gibt. Weltweit besuchen etwa 87 Prozent der Kinder eine Grundschule und 58 Prozent eine weiterführende Schule – wobei nicht verschwiegen werden darf, dass Mädchen und Frauen nach wie vor deutlich benachteiligt sind.[11] Heute können 87 Prozent der Weltbevölkerung lesen und schreiben.[12] Die Frauenerwerbsquote stieg global schätzungsweise um 10 Prozent von 50 auf knapp 60 Prozent (in der EU bei ca. 68%[13]), unterstützt durch Gleichstellungsgesetze in 125 von 195 Ländern weltweit.[14]

Die digitale Revolution hat unseren Alltag komplett umgekrempelt: Zwei Drittel der Weltbevölkerung sind heute online. Home-Office und digitale Lernplattformen haben Arbeit und Bildung flexibler und zugänglicher gemacht. Unsere Smartphones sind zu unverzichtbaren Begleitern geworden, die die Art, wie wir kommunizieren und Informationen verarbeiten, grundlegend verändert haben.

Auch bei sozialen Themen gibt es Lichtblicke: Die extreme Armut ist um 60 Prozent gesunken[15], der Fleischkonsum in Deutschland geht um zehn Prozent[16] zurück, und sowohl bei der Ost-West-Lohnangleichung[17] als auch beim Gender Pay Gap[18] wurden – wenn auch kleine – Fortschritte erzielt.

Fazit:

Diese Daten belegen Fortschritte in vielen Bereichen weltweit – vom Zugang zu Bildung über die Gesundheitsversorgung bis hin zur Armutsbekämpfung. Doch diese Entwicklungen reichen bei weitem nicht aus, um globale Gerechtigkeit, Teilhabe und nachhaltige Zukunftsfähigkeit zu sichern. Und auch die kommenden Jahrzehnte stellen uns vor gewaltige Herausforderungen: Der Klimawandel, die wachsende Wasserknappheit und die zunehmende Instabilität politischer Systeme bedrohen die globale Gemeinschaft. Jetzt ist die Zeit, entschlossen zu handeln und innovative, nachhaltige Lösungen zu entwickeln, die allen Menschen eine gerechte und lebenswerte Zukunft ermöglichen. Der nachhaltige Umgang mit Energieressourcen, die Integration künstlicher Intelligenz und die Weiterentwicklung der Biotechnologie werden unsere Zukunft maßgeblich prägen.

Die Verklärung der Vergangenheit ist zwar ein natürliches menschliches Phänomen, doch Daten zeigen auch auf: In vielen Bereichen hat sich die Welt zum Besseren entwickelt. Diese Fortschritte verlaufen nicht linear und unterscheiden sich regional. Krisen wie die COVID-19-Pandemie können Entwicklungen temporär zurückwerfen, doch der langfristige Trend zeigt in eine positive Richtung. Für die Zukunft brauchen wir einen ausgewogenen Blick: Weder unkritische Fortschrittsgläubigkeit noch pessimistische Rückwärtsgewandtheit werden uns bei der Bewältigung künftiger Herausforderungen helfen. Stattdessen ist ein faktenbasierter Optimismus gefragt, der Erfolge anerkennt und gleichzeitig realistisch aufkommende Aufgaben blickt. Und genau deshalb ergreifen wir als Civic Data Lab die zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden, um gemeinsam mit Euch als starke Zivilgesellschaft Daten für eine positive Zukunft einzusetzen.

Tipp: Das Buch „Factfulness“ von Hans Rosling und die Datenvisualisierungen der Gapminder-Stiftung bieten dabei wertvolle Einblicke in globale Entwicklungstrends und helfen, die Welt differenzierter zu betrachten. Mehr unter: https://www.gapminder.org/

Quellen:

 


Autorin

Bild3

Stephanie Agethen (sie/ihr)

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