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Potenzial für eine gerechtere Gesellschaft: wenn Satellitendaten Menschen befähigen und Gesellschaften zu Positivem verändern

Satellitendaten eröffnen neue Möglichkeiten zur Förderung sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. Sie decken Ungleichheiten auf und machen Entscheidungsprozesse inklusiver. Angesichts des Klimawandels und wachsender sozialer Ungleichheiten ist ihr Einsatz von entscheidender Bedeutung für das Gemeinwohl.


03. 09. 2024

Soziale und Umweltgerechtigkeit – Zwei Seiten derselben Medaille

Soziale Gerechtigkeit bedeutet, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft unabhängig von ihrem sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Hintergrund fairen Zugang zu Ressourcen, Chancen und Rechten haben. Umweltgerechtigkeit hingegen bezieht sich auf die gerechte Verteilung von Umweltbelastungen und den gleichberechtigten Zugang zu einer sauberen und gesunden Umwelt, insbesondere für marginalisierte Gemeinschaften. Diese beiden Konzepte sind untrennbar miteinander verbunden: Soziale Gerechtigkeit kann nur dann verwirklicht werden, wenn auch Umweltgerechtigkeit sichergestellt ist, denn Umweltprobleme treffen oft benachteiligte Bevölkerungsgruppen am härtesten.

Die Macht der Satellitendaten: Ungerechtigkeiten aufdecken und bekämpfen

Hier kommen Satellitendaten ins Spiel. Sie bieten eine einzigartige Perspektive auf die Erde und machen Ungerechtigkeiten sichtbar, die sonst leicht übersehen würden. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Von der Wettervorhersage über die Dokumentation von Landschaftsveränderungen bis hin zur detaillierten Kartierung urbaner und ländlicher Gebiete sowie der Analyse vielschichtiger Flächenstatistiken – die Potenziale von Satellitendaten scheinen grenzenlos. Doch der Nutzen geht weit über wissenschaftliche und wirtschaftliche Vorteile hinaus: Satellitendaten ermöglichen es zudem, soziale und ökologische Faktoren in Analysen und Bewertungen einzubeziehen. Durch die Kombination dieser Informationen können Maßnahmen zur gezielten Förderung von Umweltgerechtigkeit in spezifischen Regionen entwickelt werden. „Die Zusammenhänge zwischen Menschen und Umwelt wurden bislang vermehrt qualitativ empirisch, tabellarisch und statistisch analysiert. Über eine datenbasierte und sehr differenzierte Echtzeitdokumentation der Erdoberfläche und die neuen Möglichkeiten, diese Daten nutzbar zu machen, lassen sich solche Statistiken aber nun hervorragend in den Raum bringen und mit ganz neuen Arten von quantitativen Kenngrößen verknüpfen. Und das alles in einer sehr hohen geometrischen Auflösung“, erklärt Dr. Nicolai Moos vom Interdisziplinäre Geoinformationswissenschaften, Ruhr-Universität-Bochum. Die Analyse dieser Daten befähigt Entscheidungsträger*innen, fundierte Maßnahmen zu ergreifen, um soziale und ökologische Ungleichheiten wirksam zu verringern. So können Satellitendaten einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, sowohl soziale Gerechtigkeit als auch Umweltgerechtigkeit zu fördern.

Ein Blick aus dem All: Präzise Analysen für saubere Luft und Wasser

Ein konkretes Beispiel dafür ist die Überwachung von Luft- und Wasserqualität sowie der Vegetationsgesundheit in städtischen Gebieten. Häufig sind es einkommensschwache und marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die überproportional unter Umweltverschmutzung leiden – sei es durch unsachgemäße Abfallentsorgung, industrielle Emissionen oder unzureichende Infrastruktur. Mit Satellitendaten lassen sich diese Umweltprobleme präzise kartieren, wodurch fundierte und zielgerichtete Gegenmaßnahmen entwickelt werden können. Zudem tragen diese Daten dazu bei, den Zugang zu sauberen Ressourcen gerechter zu gestalten, indem sie Regionen identifizieren, die besondere Unterstützung benötigen. So können Satellitendaten entscheidend dazu beitragen, Umweltgerechtigkeit für alle sicherzustellen.

Fallbeispiel: Wie die Climate Stories Map den Klimawandel sichtbar macht

Eine Datenerfolgsgeschichte dazu erzählt die Studentin Lina Pfeiffer mit der Climate Stories Map. Sie entwickelte per Crowdsourcing eine interaktive und partizipative Karte von Berlin, in der zahlreiche Auswirkungen des Klimawandels auf die Stadt aufgezeichnet sind. Die vielfältigen Beiträge ermöglichen es Bürger*innen, sich zu informieren und Entscheidungsträger*innen, auf die Folgen zu reagieren. Im Blogartikel des schulischen Bildungsprojekts Climate Data Entrepreneurial Club hat sie ausführlich über ihr Vorgehen gesprochen.

Gleichberechtigter Zugang zu Grünflächen: Netzwerkanalyse im Ruhrgebiet

Ein weiteres Beispiel aus der aktuellen Forschung der Ruhr-Universität-Bochum zeigt, wie Satellitendaten zu einem gleichberechtigten Zugang zu städtischen Grünflächen beitragen können. „Ich habe im Rahmen meiner wissenschaftlichen Forschung eine umfassende Netzwerkanalyse durchgeführt, bei der allen (auch teilweise) bewohnten Baublöcken im Ruhrgebiet eine Klasse zugewiesen wurde, die die Distanz zu urbanen Grünflächen einer bestimmten Größe repräsentiert“, erklärt Moos.

Abbildung 1: Climate Stories Map von Lina Pfeiffer
Abbildung 1: Climate Stories Map von Lina Pfeiffer
Abbildung 2: Netzwerkanalyse für städtische Grünflächen größer als ein Hektar in fünf Schritten
Abbildung 2: Netzwerkanalyse für städtische Grünflächen größer als ein Hektar in fünf Schritten

Wenn man diese Ergebnisse mit räumlich verorteten soziodemografischen und sozioökologischen Daten kombiniert, lassen sich Bereiche mit besonders starkem Ungleichgewicht innerhalb des Untersuchungsgebiets identifizieren. Diese Erkenntnisse können stadtplanerische Entscheidungen erleichtern und unterstützen, wodurch die Entwicklung einer Stadt sozial gerechter und ökologisch nachhaltiger gestaltet werden kann. Ein zusätzlicher Schritt könnte darin bestehen, die Vitalität der Vegetation in den definierten städtischen Grünflächen während der Vegetationsperiode eines Jahres (ca. April bis September) zu untersuchen. Dies könnte die Qualität der Grünflächen in die Analyse einbeziehen. Die Ermittlung der Vegetationsgesundheit erfolgt durch die Verrechnung unterschiedlicher spektraler Kanäle – ein Konzept, das allerdings komplexe Hintergründe der Fernerkundung erfordert. Moos fordert: „Sollte es dann nicht nun ein übergeordnetes Ziel sein, allen Bewohner*innen einer Stadt den einfachen Zugang zu grünen Flächen zu ermöglichen, und nicht nur denen, die sich ein Häuschen am Stadtpark leisten können? Sozial benachteiligte Stadtquartiere müssen hier viel stärker in den Fokus gerückt werden.“

Satelliten als Werkzeuge für Bürger*innen: Demokratisierung von Daten

Derzeit umkreisen 10.306 Satelliten die Erde. Was wäre, wenn die von ihnen generierten Daten nicht nur von Expert*innen genutzt würden, sondern auch von einer breiten Öffentlichkeit? Was, wenn Bürger*innen eigenständig politische Aussagen und Zusammenhänge überprüfen könnten? Wenn dies sogar zu neuen Ideen und Symbiosen führt, die der ganzen Bewegung einen frischen Impuls geben?

Potenzial für eine gerechtere Welt: Datenbasierte Entscheidungen für das Gemeinwohl

Eine datenbasierte Entscheidungsfindung in Politik, Zivilgesellschaft und Organisationen, die der Gesellschaft auf mehreren Ebenen zugutekommt, ist ein Ziel, an dem viele Forschende und Lehrende bereits arbeiten. Mögliche Themenbereiche könnten sein:

Makroebene: Nutzen für das Gemeinwohl

  • – Förderung von Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Rechenschaftspflicht
  • – Gerechte Ressourcenverteilung
  • – Krisenmanagement und Katastrophenhilfe
  • – Nachhaltige Stadtentwicklung

Mikroebene: Positive Veränderung im Leben der Menschen

  • – Verbesserung der Lebensqualität
  • – Erhöhte Teilhabe und Inklusion
  • – Sicherere Lebensbedingungen
  • – Bildung und Empowerment

Zukunftsvision: Ein Orbit voller Möglichkeiten für eine bessere Welt

Dieses Themenfeld bietet eine Fülle an interdisziplinären Forschungsansätzen, die mit Hilfe von Satellitendaten einen direkten Bezug zur realen Welt erhalten. Lassen wir uns von der rasanten Entwicklung inspirieren und hoffen, dass wir bald alle virtuell im Orbit hängen und gemeinsam entscheiden können, auf welches Problem wir unseren individuellen Fokus legen wollen.

Kontakt

Dr. Nicolai Moos

Interdisziplinäre Geoinformationswissenschaften, Ruhr-Universität-Bochum

Mitarbeiterseite Nicolai Moos (ruhr-uni-bochum.de)


Autorin

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Stephanie Agethen (sie/ihr)

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