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Leerstand verstärkt die Wohnungsnot – der Leerstandsmelder bietet Chancen

Wohnungsnot: Sie ist zu einer sozialen Wirklichkeit geworden, die gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial birgt. Der Anteil der Sozialwohnungen in Deutschland geht immer weiter zurück. Die Mieten steigen durch den Mangel an Wohnraum weiter explosionsartig . Wie gut, dass es in 41 Städten den Leerstandsmelder gibt – der aktuelle Relaunch wurde im Civic Data Lab als Datenvorhaben unterstützt.


02. 10. 2024

Kennt ihr Wohnungen oder Häuser, die leer stehen oder verfallen? Oft genug sind Spekulationen mit Immobilien der Grund. Aber Leerstand ist kein Kavaliersdelikt und in den meisten Bundesländern als Zweckentfremdung von Wohnraum verboten. Besonders in Zeiten eklatanten Wohnungsmangels folgt daraus nicht zuletzt eine immer höhere Frustration und Resignation bei den Betroffenen und eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt. Daten können helfen, diese Probleme sichtbar zu machen.

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Hier kann die Community etwas tun!

Auf Leerstandsmelder.de können Bürger*innen einen Leerstand in ihrer Stadt oder ihrer Region melden. Die interaktive Online-Plattform schafft damit Transparenz über den jeweiligen Leerstand. Das Ziel: Eine Diskussion über den sozialen und ökologischen Umgang mit leerstehenden Wohnungen anzuregen, Argumente für kommunalpolitisches Engagement gegen Leerstand zu stärken, das Ausmaß des Problems Leerstand zu dokumentieren und perspektivisch auch statistisch auszuwerten.

Auf der Plattform können Anwohner*innen anzeigen, wo z.B. Häuser dem Verfall preisgegeben werden oder wo Wohnungen spekulativ leerstehen. Allein für Berlin und Hamburg gibt es beispielsweise jeweils über 1.000 Einträge. Dieses zivilgesellschaftliche Archiv über Leerstand unterstützt damit eine verantwortungsvollere Stadt- und Regionalentwicklung – denn Leerstand schadet den Städten und den Menschen, die in ihnen leben.

Relaunch von Leerstandsmelder.de als Datenvorhaben

Das Projekt Leerstandsmelder.de gibt es seit 14 Jahren. Weil das Thema so aktuell ist wie am ersten Tag, wurde die Plattform in den vergangenen 18 Monaten komplett überarbeitet. Auf den letzten Metern ist das Civic Data Lab mitgegangen und unterstützte die ehrenamtliche Initiative. Umgesetzt wurden erforderliche Entwicklungsschritte in Back- und Frontend, Contententwicklung, ein UX-Testing und eine rechtliche Prüfung mit Umsetzung der entsprechenden Änderungen – denn Datenengagement braucht gut entwickelte Infrastrukturen und Rechtssicherheit.

Leerstandsmelder.de wird durch ehrenamtliche Aktivist*innen im Gängeviertel e.V. betrieben und versteht sich als Teil der Recht-Auf-Stadt Bewegung. Die neue Version der Plattform baut auf der Sammlung der vergangenen 14 Jahre auf. Sie enthält nun auch umfangreiche Informationen zum Thema Leerstand und Zweckentfremdung sowie deren Auswirkungen auf die Stadtentwicklung. Zudem sind neue IT-Werkzeuge integriert, die die Aktualität der Daten erhöhen und die Entwicklungen einzelner Gebäude sowie regionale Unterschiede besser abbilden können. In der neuen Version ist  das Melden von Leerstand, insbesondere in mobiler Nutzung, vereinfacht und hat ein frisches  Design. Diese Verbesserungen sollen es allen Interessierten ermöglichen, noch einfacher Leerstände zu melden.

Plattform orientiert sich an den Nutzungsgewohnheiten der User*innen

Da Leerstandsmelder.de eine community-basierte Plattform ist, ist ein gutes Nutzungserlebnis besonders entscheidend. Im ehrenamtlichen Team gibt es eine UX Designerin, die ein professionelles UX Testing durchgeführt hat. UX steht kurz für User Experience und beschäftigt sich mit allen Aspekten der Eindrücke und des Erlebnisses von Nutzer*innen bei der Interaktion mit einem Produkt, in diesem Fall einer Website. Im Testing werden alle Stolpersteine und blinde Flecken sichtbar in Webdesign und Benutzer*innenführung sichtbar. Diese machen oft den „kleinen“ Unterschied, der dazu führen kann, ob die Community aktiv wird und dabei ein gutes Erlebnis hat – oder auch nicht. Dennoch nehmen sich wenige zivilgesellschaftliche Teams die Zeit, ein richtiges Testing durchführen. Wir sind begeistert, dass der Leerstandsmelder dies angegangen ist und können Ausschnitte aus der Auswertung vom Juli 2024 mit Euch teilen.

Als Gruppe wurden Testende in der Altersspanne von 18-55 Jahren in ausgewogener Verteilung der Geschlechter festgelegt. Ausgewählt wurden nur Personen, denen das Thema Leerstand nicht egal ist – die also potentielle Nutzer*innen der Plattform werden könnten. Einige hatten sich mit dem Thema bereits beruflich oder privat befasst, andere waren neu darin. Expert*innen, die selbst UX Designer*innen sind oder aber im Marketing oder im Immobiliengeschäft tätig sind, wurden ausgeschlossen.

Getestet wurde in fünf Fällen die Wahrnehmung des Gesamtkonzeptes sowie ein Live-Prototyp im moderierten Online-Meeting, welches eins zu eins ohne Zuschauer*innen stattfand und aufgezeichnet und transkribiert wurde. Die Dauer der Treffen lag bei ungefähr 30 Minuten und lud ein, ungefiltert alles Feedback zu benennen. („Dabei können Sie mir nicht zu nahetreten, denn ich war in der Entwicklung und Gestaltung nicht involviert, ich bin nur hier, um ehrliches Feedback zum derzeitigen Stand einzuholen. D.h.: Sie brauchen sich nicht zurückzuhalten und können mir unverblümt sagen, wie Sie die Ideen, die ich Ihnen nachher zeige, finden.“)

Anhand von Rückmeldungen wurden Übersicht, Orientierung, Navigation und erster Eindruck vom Design ausgewertet. Irritationen und Verwirrung sowie die Reihenfolge der Aufmerksamkeit wurden festgehalten. Um die Interaktion zu testen, wurden die Nutzer*innen gebeten, einen Leerstand zu melden. Die UX Designerin konnte die Führung der Maus beobachten. Wie oft bei digitalen Anwendungen wählten die Nutzer*innen unterschiedliche Wege, die z.T. gar nicht so vorgesehen waren. Diese wurden aber nicht etwa als falsch korrigiert, sondern genau beobachtet. Schließlich könnte es weiteren Nutzer*innen ähnlich gehen.


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Ergebnisse des UX Testings wurden im Team vorgestellt und Anpassungen diskutiert. Infolgedessen wurde das Erscheinungsbild vereinfacht und die UX zum Eintragen der Leerstände verbessert, um Ablenkungen vom Hauptzweck der Kartenanwendung zu vermeiden und Verwirrungen vorzubeugen. Alles dient dem Ziel, das Melden von Leerstand so einfach wie möglich zu machen, damit viele sich beteiligen. Das Projekt Leerstandsmelder.de wird nur weiter erfolgreich sein, wenn sich viele beteiligen, Daten eingeben und die so verfügbaren Informationen weiternutzen.

Hintergründe zum Thema Leerstand

„Leerstand“ bedeutet, dass die vorhandenen Kapazitäten eines Gebäudes oder einer Brachfläche nicht oder nicht in vollem Umfang genutzt werden. Wohnungen werden als „leer stehend“ bezeichnet, wenn sie weder vermietet sind noch von Eigentümer*innnen selbst bewohnt oder genutzt werden. Nicht genehmigter Leerstand gilt juristisch als Zweckentfremdung. Die konkreten Regelungen zum Schutz von Wohnraum und zur Verhinderung von Leerstand sind in den Bundesländern unterschiedlich. Unten findet ihr eine Auflistung der geltenden Regelungen in den Bundesländern mit Stand vom Februar 2024 von der Seite https://www.kanzleimauss.de/zweckentfremdung/.

Die Gründe für Leerstand sind vielfältig – vom spekulativen Leerstand auf dem Wohn-Immobilienmarkt, vermehrter Onlinehandel (,der innerstädtische Gewerbeflächen obsolet macht,) bis hin zu leeren Büros während und nach der Corona-Pandemie. Zuletzt hatte der Zuzug von vielen Menschen aus der Ukraine zum Sinken der Leerstandsquote geführt.

Die bundesweite Leerstandsquote liegt laut des letzten Zensus von 2022 bei 4,3 Prozent. Die Datengrundlage ist eine Wohnungszählung an einem Stichtag. Beim empirica-Institut werden Ende 2022 2,5 Prozent „marktaktiven Leerstand“ gezählt – also Wohnungen, die bezugsfertig sind. Das sind 554.000 Wohnungen. Dieser Wert wurde geschätzt auf Grundlage der Bewirtschaftungsdaten des Immobilienberatungsunternehmens CBRE.

Insgesamt leidet der soziale Zusammenhalt unter den verschiedenen Formen des Leerstands. Was auf der einen Seite zum Entzug von wertvollem Wohnraum führt, bedeutet auf der anderen Seite Vernachlässigung, Verfall, klimaschädlichen Abriss und Neubau. Insbesondere die Kommunalpolitik steht in der Verantwortung, den Bestand an Gebäuden zu schützen und damit Mensch und Umwelt. Unzureichende, nicht am Gemeinwohl orientierte Gesetze, die systematisch und teilweise kriminell umgangen werden, sowie Lobbyismus und Intransparenz machen Leerstand erst möglich.

Leerstandsmelder.de ruft zum Handeln auf! Mischen wir uns ein und sorgen wir dafür, dass das Bewusstsein wächst und der verantwortungsvolle Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen endlich in die Tat umgesetzt wird! Meldet Leerstand!

Die Informationen zum Thema Leerstand stammen von Leerstandsmelder.de.

Welche gesetzlichen Regelungen gelten wo? Um einen Überblick zu geben, hat die Anwaltskanzlei Mauss & Mauss eine übersichtliche Tabelle mit Stand Februar 2024 für alle Bundesländer die Städte und Kommunen aufgelistet, in denen ein Zweckentfremdungsverbot gilt. Direkt ablesen kann man so die Strenge der dortigen Vorschriften sowie aktuelle relevante Entwicklungen. Die Tabelle findet Ihr hier: Zweckentfremdung von Wohnraum: Definition und Übersicht (kanzleimauss.de)


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